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Stürmisch verliebt

Stürmisch verliebt
Band 2 der Reihe INSELküsse & Strandkorbliebe

Ein Roman, mitreißend wie ein Sturm an der Nordsee.

Seit Lektorin Steffi Sonntag weiß, wer ihr neuer Boss im Verlag wird, muss sie über eine alternative Karriere nachdenken. Niemand darf je erfahren, welche peinliche Erinnerung sie mit ihm teilt! Da kommt das unverhoffte Angebot, in einem einsamen Inselstrandhaus einen sinnlichen Liebesroman zu schreiben, wie gerufen. Auf der Nordseeinsel stolpert sie in die Arme von Mark, dem Sohn ihres tüdeligen Nachbarn. Bald schreibt sie nicht nur über die grünen Augen des lässigen Webdesigners, sie träumt sogar von ihm … Doch wenn echte Gefühle im Spiel sind, sollte sie ihm dann nicht ihre unrühmliche Vergangenheit gestehen?

Trotz Jobintrigen, unverhofften Gästen und bedrohlichen Inselstürmen rückt das romantische Finale ihrer Lovestory auf dem Papier immer näher – und Steffi fragt sich, ob es nicht auch für sie ein Happy End geben könnte …

Erhältlich ab 30. Juni 2023 

Leseprobe

Im Konferenzraum herrschte Stille. Es war, als hätte Gerald eine Bombe fallen lassen. 

Eine junge Kollegin, die noch nicht lange zum Verlagsteam gehörte, fand als Erste ihre Sprache wieder. »Verkauft? Aber an wen denn?«

Unser Programmleiter liebte es, sich in Szene zu setzen. Er schaute in die Runde. »An Adam & Adam in Hamburg. Die hatten bisher nur Sachbuch und Krimi im Repertoire und wollen mit uns als Liebesromanexperten eine neue Sparte aufmachen.« Gerald faltete die Hände auf dem Tisch. »Für uns hier bleibt aber mehr oder weniger alles, wie es ist – sie haben uns ja gekauft, weil sie ihre Frauenunterhaltung ausbauen wollen. Da sind wir natürlich genau die Richtigen. Und da uns – wie ihr wisst – das Wasser bis zum Hals steht, bin ich froh, dass Karsten sich zu diesem Schritt entschlossen hat.«

Unser Verleger Karsten Schön hatte das operative Geschäft schon vor Jahren an Gerald abgegeben. Mein Eindruck, sein Verlag Schönbooks wäre für Karsten ein Hobby, von dem er nicht einmal besonders viel verstand, hatte sich in letzter Zeit immer mehr verfestigt. Meist tauchte er nur noch zum jährlichen Sommerfest und zur Weihnachtsfeier auf. Die Aussicht auf neue engagierte Verleger war da eigentlich etwas Gutes. 

Dennoch fuhr mir Geralds Ankündigung – so positiv sie auch klingen mochte – augenblicklich in den Magen. Adam & Adam aus Hamburg. Jochen und Mareike Adam. Die Frau mit den Hüten. Und er der begnadete Tänzer.

Shit.

Ich lockerte das Seidentuch um meinen Hals. 

»Irgendetwas werden sie aber doch bestimmt ändern wollen«, sagte meine Kollegin Franziska misstrauisch. »Bei Übernahmen sind Einsparungen doch an der Tagesordnung.« 

»Gut, dass du es ansprichst, Franzi.« Gerald nickte. »Natürlich gab es schon regen Austausch darüber, wo bei uns Optimierungspotential herrscht. Und da kamen wir unter anderem auf unsere liebe Steffi zu sprechen.«

Die Köpfe meiner Kolleginnen schwangen in meine Richtung. 

Ich stieß die Luft aus und sank in meinem Stuhl zusammen. So war das also. Irgendwann rächte sich alles. Die Branche war klein, es hätte mir doch sonnenklar sein müssen, dass die Adams mir irgendwann wieder über den Weg laufen würden. Aber warum ausgerechnet als meine zukünftigen Chefs? Jochen hatte in den letzten Monaten ein paar Mal versucht, mich anzurufen, nur war ich nie rangegangen. Wie hätte ich ahnen sollen, dass es um so etwas ging? 

Sie schmissen mich also raus. Was auch sonst?

»Bei der Zusammenarbeit mit Alexa Wiedekind wünschen sie sich jedenfalls eine etwas frischere Lektorin«, fuhr Gerald fort.

»Frischer?« Ich blinzelte. »Inwiefern?«

Gerald angelte sich eine Banane aus dem Obstkorb auf dem Konferenztisch. Er nutzte den Jour fixe gern als zweite Frühstückspause. Nun schälte er Streifen für Streifen Schale herunter, ließ sich Zeit mit der Antwort. Endlich hatte er sein Werk beendet und betrachtete es zufrieden, als hätte er noch nie eine schönere Banane gesehen.

»Natürlich bist du nicht alt, Steffi.« Er nahm einen Bissen. »Aber du gehörst eben nicht mehr zur TikTok-Generation«, sprach er kauend weiter.

»Alexa Wiedekind doch auch nicht«, wandte ich ein. Immerhin war die Autorin Ende dreißig, und damit gerade mal zehn Jahre jünger als ich. Wir arbeiteten schon lange hervorragend zusammen. War sie überhaupt gefragt worden?

Ein Schweißausbruch bahnte sich an. Ich streifte das Halstuch ab und fächelte mir unauffällig Luft zu. 

Gerald schob sich ein weiteres Stück Banane in den Mund. »Also ist es abgemacht.«

Ich richtete mich wieder in meinem Stuhl auf. Von einer Kündigung war offenbar doch nicht die Rede. »Und wen soll ich stattdessen übernehmen?«

»Falls du Interesse hättest, würde ich schauen, ob du dich dem schönen Albrecht widmen kannst.«

Mir entfuhr ein trockenes Lachen. Er machte wohl Witze. Albrecht Schönhausen, der bei uns nur »der schöne Albrecht« hieß, verfasste unter einem weiblichen Pseudonym historische Romane, in denen die männlichen Protagonisten ihm selbst – oder zumindest seiner jüngeren Version – immer verdächtig ähnlich sahen. Dabei war er nicht einmal hübsch. Verstohlen wischte ich mir die schweißnassen Finger an der Hose ab. 

»Selbstverständlich hat jede von euch ein Sonderkündigungsrecht, wenn euch die Änderungen nicht zusagen.« Gerald legte die Bananenschale beiseite und schleckte an zwei Fingern. »Falls ihr davon aber keinen Gebrauch machen wollt, möchte ich euch im Namen der neuen Eigentümer bitten, eure Literaturagenturen auf Love & Landscape-Stoffe anzusprechen. Und zwar mit speziellem Augenmerk auf reifere Protagonistinnen und Protagonisten. Adam & Adam wollen massiv auf dieses Segment bauen. Sie sind der Meinung, dass es im Liebesroman jetzt auch gern reifere Figuren mit all ihren Problemen sein dürfen. Fünfzig ist das neue dreißig, versteht ihr? Dafür gibt es einen ganz eigenen Markt. Die Leserinnen Ü 50 haben die größte Kaufkraft und wollen über sich selbst, über echte Frauen, lesen.« 

Ich betrachtete Gerald mit offenem Mund. Das war meine Rede seit Jahren! Aber weder er noch Karsten hatte je etwas davon hören wollen. Und mit Jochen Adam, da hatte ich doch auf der Frankfurter Buchmesse genau darüber … 

Das war alles nicht zu fassen. Wie gut hätte ich einen solchen Stoff mit Alexa angehen können. Mit Albrecht Schönhausen hingegen brauchte ich über dieses Thema gar nicht zu sprechen. Seine Protagonistinnen waren so jung und knackig, dass es fast schon grenzwertig war.

»Übrigens wollen Adam & Adam euch natürlich auch persönlich kennenlernen«, unterbrach Gerald meine Gedanken. »Sie werden nächste Woche für zwei, drei Tage vorbeischauen und sich mit euch in Einzelgesprächen zusammensetzen, um die neue Strategie genauer zu besprechen. Auch was die räumliche Zusammenarbeit betrifft – ihr wisst ja, Frankfurt und Hamburg liegen ein paar Kilometerchen voneinander entfernt.« 

Das war die einzig gute Nachricht bei dieser Geschichte. Dass die Adams und ich einander nicht allzu oft über den Weg laufen würden. Abgesehen von nächster Woche natürlich. Aber Albrecht Schönhausen – ernsthaft? Das Sonderkündigungsrecht klang verlockend. 

Die anderen in unserer Lektoratsrunde hatten allerhand Fragen – doch Gerald versicherte ihnen, für sie würde sich so gut wie nichts ändern. Die restlichen Fragestellungen sollten sie sich für nächste Woche aufheben.

Während die Kolleginnen den Besprechungsraum verließen, fühlte ich mich bleischwer.

Gerald, der ein paar Papiere auf dem Tisch zusammenschob, zwinkerte mir aufmunternd zu. »Ich dachte mir schon, dass dich das trifft, und ganz ehrlich, an deiner Stelle würde ich mir wirklich überlegen, ob ich hier nicht die Segel streichen sollte.«

Zweifelnd sah ich ihn an. Hatten die Adams ihn damit beauftragt, mir möglichst schonend beizubringen, dass ich besser von selbst den Rückzug antrat? Diese Frage konnte ich ihm allerdings schlecht stellen, denn er hätte natürlich sofort wissen wollen, wie ich zu dieser Vermutung kam.

Zurück an meinem Schreibtisch legte ich das Gesicht in die Hände. Einzelgespräche wollten sie führen. Ich würde Jochen oder Mareike – vielleicht sogar beiden zusammen! – an einem Tisch gegenübersitzen. 

Seit vierzehn Jahren war ich nun in diesem Verlag angestellt. Noch nie hatte ich wechseln wollen. Aber jetzt schrie alles in mir danach. Nur – wohin so schnell? Die festen Jobs für Lektoren lagen nicht gerade auf der Straße. Verzagt sah ich zum Fenster hinaus durch das Blattwerk der Platane an den blauen Frankfurter Himmel. Ich brauchte frische Luft.

Kurz darauf war ich im Holzhausenpark unterwegs, schlängelte mich zwischen Müttern mit Kinderwagen und Kleinkindern auf Laufrädern hindurch und knabberte an einer Butterbrezel vom Kiosk am Eingang. Auf einer Parkbank zückte ich mein Smartphone und wählte die Nummer von Nadja Prinz, die bei einem Stuttgarter Verlag arbeitete. Wir kannten uns schon viele Jahre, tauschten uns hin und wieder aus. Ich brauchte den Rat einer Außenstehenden. Zwar wusste sie ebenso wenig wie meine Kolleginnen von meiner Entgleisung auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst. Aber bei Verlagsübernahmen war Panik auch ohne solche Begleiterscheinungen angebracht.

»Steffi Sonntag? Das muss Gedankenübertragung sein!«, rief sie, als sie abnahm.

Augenblicklich stieg meine Laune. »Wieso?«, fragte ich lächelnd. 

»Ich komme gerade aus einem Gespräch mit unserer Programmleiterin. Unsere Spitzenautorin in der Sparte Sinneslust wird mit ihrem Manuskript nicht rechtzeitig fertig. Schreibblockade! Sie hat um Aufschub gebeten, und zwar – halt dich fest – um ein ganzes Jahr. Da haben wir jetzt eine riesige Lücke! Das Frühjahrsprogramm steht, das Cover ist fertig, Deadline wäre in fünf Wochen gewesen – dabei hat sie noch keine Zeile geschrieben!«

»Falls du mich fragen wolltest, ob wir eine Spitzenautorin abzugeben haben, die eure Lücke füllen könnte – da muss ich leider passen.« Schmunzelnd nahm ich einen Bissen von der Brezel.

»Aber nein, das meinte ich nicht«, widersprach Nadja. »Mir ist eingefallen, dass mir deine Novelle damals so gut gefallen hat.«

»Meine Novelle?« An die hatte ich schon lange nicht mehr gedacht. Ich hatte eine Liebesgeschichte skizziert, wie ich sie selbst gerne einmal erleben würde. Mit ganz viel Gefühl und Leichtigkeit. Beides war in meinem eigenen Leben Mangelware. Nur Nadja hatte ich den Kurzroman zum Probelesen gegeben. Seither ruhte er in der Schublade.

»Die Geschichte ist natürlich zu kurz, aber du kannst schreiben, Steffi«, fuhr Nadja fort. »Diese Art von Schreibe gewürzt mit ein bisschen Sex und Erotik würde ganz genau in unsere Lücke passen. Hast du nicht Lust, dich mal an ein größeres Projekt heranzuwagen? Gern gespickt mit einer Prise Humor.«

Ich zog die Nase kraus. Das waren doch direkt drei Stichworte, die in meinem Leben absolut rar waren. Sex, Erotik und Humor. Wäre es nicht so traurig gewesen, hätte ich mich gekringelt vor Lachen.

»Dein Vertrauen in Ehren, aber ich bin nicht gerade für mein heißes Liebesleben und meinen Witz bekannt«, wandte ich ein. Genau genommen hatte Paolo, mein italienischer Ex-Mann, mich als ausgesprochen verkrampft und humorlos bezeichnet. Dabei hatte es so vielversprechend begonnen mit uns. Wir hatten uns vor fünfundzwanzig Jahren bei einem Tanzkurs kennengelernt. Paolo Lombardo – sein Name hatte wie Musik in meinen Ohren geklungen. Nach der Scheidung hatte ich dann meinen Mädchennamen wieder angenommen.

»Ach was, du hast diesen subtilen Witz, Steffi«, lenkte Nadja mich von den trüben Erinnerungen ab. »Deine scharfe Beobachtungsgabe hat mir so gut gefallen. Du könntest versuchen, das in ein größeres Format zu packen. Aber ich weiß, du hast keine Zeit dafür. Du ersäufst ja selbst in Arbeit.«

»Das ist so nicht ganz richtig«, korrigierte ich und kam endlich zum Grund meines Anrufs, schilderte Nadja den kürzlichen Verlagsverkauf, von dem spätestens morgen ohnehin alle Fachblätter berichten würden, und von der Degradierung. Die war nur ein Vorwand, um mich loszuwerden, davon war ich überzeugt. Wieso konnte ich ihr natürlich nicht sagen. »Und jetzt wollen sie eine ›frischere‹ Lektorin als mich. Ich glaube, meine Tage sind gezählt.«

»Na, das passt doch wie die Faust aufs Auge mit uns beiden!«, rief Nadja. »Du hättest vier Wochen Zeit, mir etwas vorzuweisen. Falls es etwas taugt, würden wir in Windeseile deinen Vertrag aufsetzen, Cover und Klappentext anpassen – und Zack, wärst du in der Programmvorschau.«

Meine Finger kribbelten. »Ist das dein Ernst?«

»Aber ja!«

Ich konnte kaum glauben, welche Chance sich mir bot. Normalerweise ging das alles beileibe nicht so rasch, im Gegenteil, vom Erstentwurf bis zur Veröffentlichung konnten Monate, manchmal Jahre ins Land gehen. Am liebsten hätte ich mich sofort an die Arbeit gemacht. Hätte alles stehen und liegen lassen. Wenn es schon im realen Leben nicht mit der Erotik klappte – theoretisch hatte ich diesbezüglich jede Menge Ideen … 

Was, falls ich wirklich von meinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machte? Albrecht Schönhausen konnte mir jedenfalls gestohlen bleiben. Zurzeit war er ohnehin im Urlaub – oder auf »Recherchereise«, wie er seine Trips nach Thailand stets nannte. Wenn er zurückkehrte, konnte ich bereits weg sein.

Oder Moment … Mein Blick ging zum Spielplatz in der Ferne, in dessen Sandkiste ich gelegentlich mit Greta Sandkuchen backte. Ich hatte selbst noch so viel Urlaub. Vier Wochen hatten sich aus den letzten Jahren angesammelt. Die standen mir doch wohl zu? Angenommen, ich würde den ab nächster Woche abfeiern. Dann müsste ich den Adams nicht einmal begegnen. Vorausgesetzt, Gerald stimmte zu. Noch hatte ja er das Sagen. Oder?

»Das passt doch perfekt!«, rief meine Freundin abermals, als ich sie in meine Gedanken einweihte. »Du schreibst einfach in diesen vier Wochen den Roman für uns und zeigst eurem Gerald und dem neuen Eigentümer eine lange Nase!«

Die Idee gefiel mir. Allerdings … »Schau mal, ich habe ja noch nie einen ganzen Roman geschrieben.«

»Aber du verfügst über das Handwerk. Und du hast den nötigen Biss. Du würdest das durchziehen, ich kenne dich. Komm. Überleg es dir wenigstens.«

Ein Ball flog mir von der Wiese gegen das Schienbein, und ich kickte ihn zu dem kleinen Jungen mit pinkfarbener Schirmmütze zurück. Nadjas Angebot war wirklich verlockend. Aber wie sollte ich mir auf die Schnelle Setting und Figuren ausdenken?

Auch auf diesen Einwand hatte Nadja die passende Antwort parat. »Wo ist denn da das Problem? Auf dem Papier darfst du dir endlich mal einen Mann entwerfen, wie er dir gefallen würde. Einen Typen zum Verlieben. Innerlich wie äußerlich. Einen starken Kerl zum Anlehnen und trotzdem verdammt heiß. Das ganze im Setting eines Olivenhains in der Toskana – wär das nicht was?«

Ich liebte die Toskana! Paolos Familie stammte von da, und als wir noch ein Paar waren, hatten wir mit Giulia jeden Sommer dort verbracht. Das fehlte mir seit der Trennung am meisten. Einen Mann hingegen vermisste ich gar nicht so sehr. Genau genommen hatte ich schon ewig nicht darüber nachgedacht, wie ein Mann sein müsste, damit ich mich in ihn verlieben würde. Eher meinte ich, dass es solche Exemplare gar nicht gab. Spätestens beim Zusammenleben legte die Männerwelt doch Eigenheiten an den Tag, die man sich vorher nie hätte träumen lassen. Ich hatte in meinem bisherigen Leben mit drei männlichen Wesen zusammengelebt. Und jeder von ihnen hatte die Klotür offengelassen, wenn er sich für ein Weilchen aufs Örtchen zurückzog. Das Fenster dagegen blieb oft genug geschlossen. So etwas brauchte kein Mensch.

Klar, ein Typ zum Anlehnen wäre manchmal angenehm. Aber wenn überhaupt, wollte ich einen Mann auf Augenhöhe. Er sollte sich auch mal bei mir anschmiegen und nicht nur den starken Macker markieren. Und ja, er sollte natürlich sexy sein, jedoch nicht unbedingt überdurchschnittlich. Ich wollte ja nicht die ganze Zeit den Bauch einziehen müssen.

Ach, winkte ich innerlich ab, mir fehlte gar kein Mann zum Glücklichsein. Bloß einen Job, der mich erfüllte, wollte ich. Und den hatte ich bis heute Morgen noch gehabt!

»Du bist doch auf Instagram?«, unterbrach Nadja meine Gedanken. »Mit TikTok würden wir dich eventuell verschonen, aber ein bisschen Social Media müsste sein. Kannst du da etwas vorweisen?«

Ich besaß einen Instagram- und einen Facebook-Account, das war aber auch alles. Gepostet hatte ich schon ewig nichts. »Das wird sich sicher arrangieren lassen«, sagte ich leichthin.

»Perfekt!«, rief Nadja und beendete unser Telefonat. »Die Pflicht ruft! Und du überlegst es dir, ja?«

Ich versprach es. Dann legte ich nachdenklich auf.

 

***

 

»Du willst dir vier Wochen freinehmen? Wow!« Meine vierundzwanzigjährige Tochter strahlte mich an. »Dann könnte ich ja vormittags Greta bei dir vorbeibringen und das Geld für die Tagesmutter sparen! Du weißt doch, die Kita macht Sommerpause. Im Café haben sie sowieso zu wenig Leute.«

Giulia jobbte bis mittags in einem an ein Seniorenheim angegliedertes Bistro und hörte sich die Sorgen und Nöte der alten Menschen an. Sie war äußerst beliebt.

»Bitte, Mama«, sprach sie weiter. »Dann liege ich Flori nicht schon wieder die ganze Zeit auf der Tasche. Du weißt, wie sehr ich das hasse.«

Flori war Giulias Freund und nicht der leibliche Vater ihrer fünfjährigen Tochter. Das führte zu einigen Konflikten – vor allem bei Giulia, die nicht gut damit zurechtkam, dass Flori Kosten und Pflichten übernahm, die eigentlich Gretas Erzeuger hätte erfüllen sollen. Der hatte sich jedoch schon während der Schwangerschaft verabschiedet.

Greta saß auf meinem Schoß und kritzelte versunken in einem Malbuch. Ihr roter Wuschelkopf, den sie wie ihre Mutter von mir geerbt hatte, roch nach einem Himbeershampoo. Wir saßen in Giulias Küche, um Flori nicht zu stören. Abends schrieb er an seiner Masterarbeit, tagsüber arbeitete er als Programmierer bei einem Finanzdienstleister. Meist geschah das aus dem Homeoffice, um nicht zu viel Zeit für den Arbeitsweg zu verlieren. Das hieß, er war rund um die Uhr daheim und brauchte Ruhe. Mit einem Kleinkind im Haus war das nicht ganz leicht. Giulia, so schien es mitunter, war permanent mit Greta auf der Flucht. Dabei war die Kleine für Flori wie ein eigenes Kind, nur fehlte es ihm eben an Zeit. 

Was meine Urlaubspläne betraf, fragte ich mich jetzt, ob meine Tochter mir nicht zugehört hatte. Eigentlich hatte ich ihr doch gerade erklärt, dass ich – wahrscheinlich! – freinehmen wollte, um einen Roman zu schreiben. Noch war die Sache natürlich nicht spruchreif. Adams als meine neuen Chefs mussten für die Auszeit erst mal grünes Licht geben. Gerald wollte sich darum kümmern. Nach meiner Rückkehr aus dem Park hatte er mir jegliche Unterstützung zugesagt, um meine Ansprüche durchzusetzen. So eifrig kannte ich ihn sonst gar nicht.

»Das eingesparte Geld könnten wir aber so gut gebrauchen, Mama«, fuhr Giulia fort, nachdem ich ihr die Sachlage noch einmal erklärt hatte. »Und es wäre ja nur für vormittags. Schau, du könntest mit Gretchen in den Park gehen und dabei über deinen Roman nachdenken, sodass du nachmittags direkt loslegen könntest. Die frische Luft wird dir guttun, und das Zusammensein mit Greta hält dich jung.«

Bei dieser Anspielung auf mein Alter zuckte ich schon wieder zusammen. Ich konnte doch am allerwenigsten dafür, dass ich mit Mitte vierzig Großmutter geworden war. Eine Oma! Selbst wenn ich einen Mann kennenlernen würde, der mich – eventuell! – attraktiv finden könnte … allein diese Tatsache würde seine Libido garantiert zusammenschrumpeln lassen, als hätte man sie mit einem Eimer Eiswasser übergossen. 

Doch abgesehen davon … hatte ich nicht endlich einmal das Recht verdient, eine Entscheidung ganz allein für mich zu treffen? Ich war selbst jung Mutter geworden, wenn auch nicht mit neunzehn wie Giulia, hatte mich aber ebenfalls zwischen Beruf und Kind aufgerieben, weil Paolo als italienischer Macho der Meinung war, das sei Frauensache. Und nun wurde ich als Oma weiterhin als Babysitterin beansprucht, als käme sonst niemand dafür infrage – weil Giulia Greta bis zu deren Eintritt in die Grundschule nicht den ganzen Tag weggeben wollte. Da sie selbst ganztägig »fremdbetreut« worden war, wollte sie das ihrem Kind »ersparen«. Erst danach wollte sie sich einer Ausbildung widmen. Den Aushilfsjob im Café erledigte sie, wenn Greta bis nach dem Mittagessen im Kindergarten war. Und der schloss nun für vier Wochen die Pforten.

Ich würde mit harten Bandagen und einem schrecklich schlechten Gewissen zu kämpfen haben, sollte ich diese Zeitspanne tatsächlich für mich allein beanspruchen.

Daheim goss ich mir ein Glas Weißwein ein und schlängelte mich auf meinen schmalen Balkon, auf dem gerade mal ein Tischchen und zwei Stühle Platz fanden. Manchmal fehlten mir der Garten und das Haus, in dem ich früher mit Paolo und Giulia gewohnt hatte. Andererseits war in einer Wohnung besser Ordnung zu halten. Gefühlt hatte ich mein halbes Dasein als Mutter mit Aufräumen verbracht.

Um mich abzulenken, scrollte ich auf dem Smartphone durch mein Instagram-Profil. Das letzte Bild, das ich vor einigen Monaten dort gepostet hatte, war ein Essen. Lachs auf Rahmspinat mit Petersilienkartoffeln. Mein Lieblingsgericht. Außerdem hatte ich Schnappschüsse von Spaziergängen mit Greta hochgeladen, bei denen ich immer nur ihren Hinterkopf zeigte. Dass ich beruflich mit Büchern zu tun hatte, sah man hier nicht. Wenn es nach Nadja ging, würde ich wohl etwas nachlegen müssen.

Ich wechselte zu meiner Facebook-Timeline. Angeblich war diese Plattform ja für die ewig Gestrigen. Immerhin tummelten sich dort aber etliche meiner früheren Mitschüler und Kommilitoninnen. Mein Blick blieb an einem kürzlich erfolgten Eintrag meiner Schulkameradin Antje hängen, die vor einigen Jahren der Liebe wegen auf eine Nordseeinsel umgezogen war. 

Haussitterin für 4 Wochen auf Nortrum gesucht, schrieb sie. Interessiert las ich weiter.

Du magst die See und die unendliche Weite des Himmels? Du findest Reetdächer romantisch und magst es, wenn Wäsche auf der Leine innerhalb von fünf Minuten trocknet? Du hast nichts gegen ein bisschen Unkrautjäten und gegen einen gelegentlichen Schnack mit einem alten Nachbarn einzuwenden? Dann melde dich gern. Mein Mann und ich wollen vier Wochen lang den Jakobsweg in Spanien bewandern und brauchen dich als Haus- und Gartensitter!

Andächtig betrachtete ich die Fotos. Wow. Ein reetgedecktes Doppelhaus war zu sehen. Ein gepflegter Rosengarten, ein Strandkorb, Wind und Meer. Ansonsten Ruhe. 

Andere User hatten in den Kommentaren bereits ihr Interesse bekundet. Gerade erschien ein weiterer. Und noch einer. Huch. Dieser Job war sicher bald vergeben.

Nachdenklich nahm ich einen Schluck Wein. Stellte mir vor, ich würde in diesem Strandkorb in Antjes Garten den Roman für Nadjas Verlag schreiben. Dort würde mir bestimmt im Nu etwas einfallen. Klar, es war nicht die Toskana. Aber dort würden mich vielleicht auch zu viele Erinnerungen ablenken.

Ein angenehmes Kribbeln erfasste mich. Zögernd legte ich die Finger auf die Tastatur.

Du Liebe, ich hoffe, du erinnerst dich an mich, tippte ich eilig. Eben lese ich deinen Aufruf wegen des Haussittings. Falls der Job noch nicht vergeben ist, hätte ich großes Interesse daran. Ich suche gerade eine Möglichkeit, mich zurückzuziehen, da ich meinen ersten Roman schreiben möchte. Dein Haus wäre dafür ideal. Ich liebe deinen Garten und würde ihn hegen und pflegen. Den Nachbarn zur Not auch ;-). Alles Liebe, deine Steffi

Ehe ich es mir anders überlegen konnte, drückte ich auf Senden und schickte meine Handynummer hinterher. Mein Herz klopfte, als hätte ich etwas Unerlaubtes getan. Momentan besaß ich weder das Go meiner neuen Chefs noch Giulias Segen. 

Als mein Smartphone klingelte, zuckte ich zusammen. Die Nummer war mir nicht bekannt. »Hallo?«

Antjes glockenhelles Lachen drang an mein Ohr. »Ich dachte, ich lese nicht richtig. Mensch, wir haben ja ewig nichts voneinander gehört. Wie geht es dir? Arbeitest du noch als Lektorin?«

In wenigen Worten berichtete ich ihr vom Inhaberwechsel und welche Möglichkeiten sich bei Nadja für mich aufgetan hatten. »Dein Haus wäre ideal für mein Ferienvorhaben«, schloss ich klopfenden Herzens, »dort könnte ich mich bestimmt aufs Schreiben konzentrieren. Vorausgesetzt, der Urlaub wird genehmigt.«

»Du kannst den Anspruch gesetzlich geltend machen, solange nirgends steht, dass er verfällt«, zerstreute Antje, die als Juristin online Rechtsberatung anbot, meine Zweifel. »Nimm dir, was du jetzt brauchst! Dieser Roman würde dir bei uns wie nichts aus den Fingern fließen. Es scheint hier gute Schwingungen dafür zu geben, in unserem Leuchtturm residiert zurzeit sogar ein Inselschreiber.« Sie kicherte. »Von unserem Dachzimmer hättest du fast so einen tollen Blick über die See wie er. Am Strand könnte deiner Heldin dann der Mann ihrer Träume begegnen. Einer von den Jungs am Surferstrand zum Beispiel, Typ Wikinger. So ein Kerl würde auch im wahren Leben hervorragend zu dir passen, mit deiner Löwenmähne.«

»Du verwechselst da etwas«, bremste ich lachend ihre Euphorie. »Ich suche ja keinen Mann für mich, sondern für eine fiktive Figur, von der ich noch gar nicht weiß, wie sie aussieht.«

»Na, egal. Mit den Typen wird es vor Ort auch zugegebenermaßen schwierig, die sind schon ziemlich eigen. Aber du sollst ja auch schreiben.«

»So ist es.« Die Sache mit dem Surfer hatte allerdings etwas. Das wäre doch schon mal ein guter Aufhänger. Sexy waren die allemal, und breite Schultern zum Anlehnen besaßen sie bestimmt ebenfalls. Meinetwegen durfte der Loveinterest auch einen Bart haben, selbst wenn ich Gesichtsbehaarung persönlich nicht viel abgewinnen konnte.

»Heißt das, du würdest es machen? Das wäre wirklich toll, Steffi. Sven und ich fänden es super, wenn jemand im Haus wäre, den wir kennen. Bei dir könnten wir sicher sein, dass du nichts verkommen lässt und du dich um den Garten kümmerst. Der ist unser ganzer Stolz. Wir teilen uns ein Grundstück mit dem Nachbarn, der nicht mehr so gut kann.«

»Klar würde ich mich um den Garten kümmern. Seit der Trennung von Paolo vermisse ich meinen eigenen total.«

»Das klingt doch ideal! Meinetwegen können wir die Sache sofort klarmachen. Ab wann könntest du hier sein? Samstag wollen Sven und ich uns auf den Weg machen.«

So früh schon? Das ging ja holterdiepolter. »Ich müsste natürlich noch einiges regeln. Und noch mal ultimativ mit meinem Chef sprechen«, versuchte ich, sie zu bremsen. 

Selbst wenn ich den Urlaub einfordern konnte, wollte ich das nicht ohne Rücksicht auf meine Kolleginnen durchziehen. Und was würde Giulia nur dazu sagen? Abgesehen davon würde Greta mir bestimmt schrecklich fehlen. Prompt stellte sich Heimweh ein, dabei war ich noch nicht einmal fort.

»Wenn du erst Sonntag oder Montag kommen kannst, wäre das auch in Ordnung. Aber länger sollte es besser nicht dauern. Was meinst du?«

»Gib mir ein bisschen Bedenkzeit«, bat ich. »Ich melde mich so schnell es geht.«

Als ich aufgelegt hatte, wählte ich zögernd Geralds Privatnummer. »Du, ich will da jetzt wirklich keinen Druck aufbauen«, begann ich stockend, »aber hast du bei den Adams schon mal wegen meines Resturlaubs vorfühlen können?«

»Das hat sich heute leider noch nicht ergeben, wir haben im Moment ja auch ganz andere Sorgen. Warum die Eile?«

Von Nadjas Angebot erzählte ich ihm nicht. Aber von der Möglichkeit, an der Nordsee eine Auszeit zu nehmen. »Bei diesem Wechsel unter neuen Vorzeichen würde mir das wirklich guttun«, fügte ich an. 

Gerald schwieg einen Moment, ich hörte, dass er mit dem Kugelschreiber klackerte. »Ach, weißt du was?«, sagte er nun. »Ich finde diese Idee ganz fantastisch. Und ich nehme das auf meine Kappe, dass du für eine Weile weg bist. Bis dahin hat sich hier dann auch alles eingegroovt. Besser geht’s eigentlich gar nicht.«

Erleichtert stieß ich den Atem aus. Fürs Erste würde es keine Konfrontation mit den Adams geben. Hatte ich ein Glück!

»Richte doch bitte allen schöne Grüße aus«, bat ich feierlich. »Und danke noch mal für dein Verständnis!« 

»Geht klar, kein Ding. Tschüss Steffi. Hab eine schöne Zeit!«

»Tschüss«, hauchte ich noch, dann war die Leitung tot.

Augenblicklich fühlte ich mich hundsmiserabel. Eigentlich war es verantwortungslos, ausgerechnet bei einem Führungswechsel abwesend zu sein. Normalerweise lief ich nie vor Schwierigkeiten davon. Allerdings war mir auch noch nie so etwas Peinliches passiert wie auf der Frankfurter Buchmesse im letzten Herbst. Und was hatte Gerald mit »Besser geht’s gar nicht« gemeint?

Schließlich schüttelte ich die kreisenden Gedanken ab. Er konnte alles Mögliche damit ausgedrückt haben. Vielleicht hatte er unschöne Szenen befürchtet, weil ich Alexa Wiedekind abgeben und stattdessen Albrecht Schönhausen übernehmen sollte. 

Ich schrieb Antje nur zwei Worte: Ich komme!

Danach wählte ich Nadjas Durchwahl. Diese Neuigkeit musste ich schnellstens loswerden.

Als sie sich meldete, überschlug sich meine Stimme. »Ich fahre nach Nortrum! Ich ziehe das durch!«

»Was ziehst du durch?« Nadja klang, als wäre sie mit ihren Gedanken ganz woanders.

»Na, ich schreibe den Roman! Über den wir heute Morgen gesprochen haben.«

»Ach so, den.«

Ich hatte etwas mehr Euphorie erwartet. »Ja! Ist das nicht toll?«

»Schon. Aber …«

»Aber?«

»Das war keine Carte blanche, Steffi. Das Ding muss verdammt gut werden. Kein Larifari. Unser Spitzentitel Sinneslust muss reinhauen. Das ist dir klar?«

»Natürlich!« Nichts anderes als reinzuhauen hatte ich vor. Allerdings hatte ich noch keinen blassen Schimmer, womit. »Was hältst du von einem Surfer mit Wikingerbart als Loveinterest?«, stieß ich hervor.

»Ja. Klingt nicht schlecht. Könnte man versuchen. Und die Prota? Überleg dir ein paar richtig gute Probleme für sie. Es sollte um alles gehen, das weißt du. Und ich bräuchte schnellstmöglich ein Exposé.«

Das war ja selbstverständlich. »Habt ihr noch eine andere Autorin in der Pipeline?«, hakte ich nach.

»Ist doch klar, dass ich bei so einer Katastrophe hin und her telefoniere. Ich kann mich nicht auf eine einzige Option stützen.«

»Wen hast du noch gefragt?«

»Ich darf da keine Namen nennen, das weißt du doch.«

Ich knabberte auf meiner Unterlippe. Wie hatte ich nur so blauäugig sein können? Ich selbst hätte niemals einer unbekannten Autorin, von der ich noch nicht einmal wusste, ob sie das Durchhaltevermögen für einen ganzen Roman besaß, einen Spitzentitel angeboten. Gerald hätte mir dafür eine Abmahnung erteilt. 

Nachdem ich mich von Nadja verabschiedet hatte, starrte ich minutenlang vor mich hin. Was hatte ich mir eingebrockt? Ich hätte doch wissen müssen, dass ihr Angebot noch nicht verbindlich oder ausschließlich war. Sie hatte mir nur Honig ums Maul schmieren wollen. Mir ein gutes Gefühl geben. Und für dieses Luftschloss würde ich meine Tochter und Enkelin im Stich lassen? Um auf einer gottverlassenen Insel einen Roman zu schreiben, den am Ende vielleicht niemand haben wollte? Sinneslust – das passte doch gar nicht zu mir! Aber jetzt hatte ich Antje schon zugesagt. 

Und ich wollte ja auch dringend weg. Fort von Adam & Adam und dem, was ich verbockt hatte.

Am liebsten hätte ich Giulia etwas vorgeflunkert, war nahe daran, meiner Tochter zu sagen, dass ich in letzter Zeit mit Asthma zu kämpfen und der Arzt mir deswegen eine Kur an der Nordsee empfohlen hätte. Doch ich hasste Unwahrheiten. Zu lange hatte ich unter Paolos Lügen gelitten. Vielleicht konnte ich heimlich die Koffer packen, mich in den Zug setzen und ihr dann per Videocall von meinem spontanen Entschluss berichten. Oder ich gestand ihr einfach, wie es war: Ich tat etwas vollkommen Verrücktes.

»So verrückt ist es auch wieder nicht«, beruhigte mich meine Tochter, nachdem ich mir endlich ein Herz gefasst und sie angerufen hatte. »Wenn du ohne einen Cent in der Tasche eine Weltreise antreten würdest – das wäre vielleicht eigenartig. Aber eine Nordseeinsel?« Sie schnalzte mit der Zunge. »Du tanzt doch so gern, wieso hast du nicht einen vierwöchigen Sambakurs in Brasilien gebucht? Das wäre doch mal was gewesen.«

Ich lachte über ihren Scherz. »Du bist mir also nicht böse, dass ich dir mit Greta nicht unter die Arme greife?«

Meine Tochter seufzte. »Flori meint, dass ich mich wegen meines Verdienstausfalls nicht verrückt machen soll. Er verdient ja genug, sagt er. Ich soll mir hier einfach mit der Kleinen eine schöne Zeit machen.« Sie schnaubte. »Im Klartext heißt das, hier auf Zehenspitzen herumzuschleichen, damit er in Ruhe arbeiten und studieren kann. Allmählich stinkt mir dieses Hausfrauendasein so sehr!«

»Jetzt stell dein Licht nicht so unter den Scheffel, Süße. Du wolltest für Greta da sein und machst einen tollen Job.«

Das tat sie wirklich. Für mich wäre Teilzeit damals nicht in Frage gekommen, ich hatte mein Kind in einen Ganztagskindergarten gegeben. Paolo und ich hatten das Geld gebraucht. Dass Flori einen Großteil der finanziellen Pflichten übernahm, obwohl er nicht Gretas leiblicher Vater war, rechnete ich ihm hoch an.

»Die alten Herrschaften im Café haben mich gefragt, ob ich nicht in die Pflege wechseln wollte«, unterbrach Giulia meine Gedanken. »Weil ich so gut mit ihnen kann.«

»Pflege?«, fragte ich zweifelnd.

»Ja, sie meinten, ich könnte doch eine Ausbildung im Seniorenheim machen.«

»Aber das ist etwas ganz anderes, als sich mit ihnen zu unterhalten. Da gehört einiges mehr dazu. Und Schichtdienst.«

»Als ob mir das nicht klar wäre, Mama. Und ja – Flori würde dabei vermutlich nicht mitspielen. Wenn es nach ihm ginge, könnte das hier ewig so weiter gehen.«

»Ach, Hase«, murmelte ich. »Kommt Zeit, kommt Rat.« 

Das hoffte ich wirklich. 

Beim Abschied versprach ich ihr, mich zu melden, wenn ich in meinem Schreibdomizil angekommen war. Zunächst musste ich die Reise aber endlich einmal planen. Die Zugfahrt von Frankfurt an die Nordseemole würde fast einen Tag dauern. Um danach nicht noch zwei Stunden auf einer Fähre verbringen zu müssen, hatte Antje mir den Flug mit einer zweimotorigen Maschine empfohlen, die Touristen vom Festland auf die Insel beförderte.

Im Netz recherchierte ich die sommerlichen Höchsttemperaturen auf Nortrum und stieß auf einundzwanzig Grad. Nicht besonders viel. Aber die raue Natur, die auf den Bildern zu sehen war, gefiel mir. Es gab ein paar steil abfallende Klippen, einen Leuchtturm und Salzwiesen, jede Menge Strand und Watt. Bei meinen Hitzewallungen konnte es mir nur recht sein, wenn es nicht zu heiß wurde. Außer in meinem Roman natürlich. Ach – die Inspiration würde vor Ort schon kommen. Und wenn nicht: Immerhin kannte ich Schriftsteller, die rein nach Bauchgefühl schrieben. Behaupteten sie wenigstens. Angeblich ergaben sich die Wendepunkte in ihren Romanen wie von selbst.

Mein eigenes Leben legte jedenfalls gerade eine Kehrtwende hin.

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